zuckerfrei und vegan

Nach langer Abstinenz folgte ich einer Einladung zu einer Veranstaltung, um mit Obst frisch, gesund und nachhaltig zu kochen. Voller Freude nahm ich an.

Dort eingetroffen wurde aus frisch, gesund und nachhaltig

zuckerfrei und vegan

was im Prinzip nicht schlecht sein muss. Hier folgt ein großes ABER!

In der EU und insbesondere in Deutschland ist alles klar geregelt.

Was der „gemeine“ Verbraucher unter zuckerfrei – nähmlich ohne Haushaltszucker – versteht, steht im Widerspruch zur Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel kurz Lebensmittel-Informationsverordnung und abgekürzt LMIV.

Dort steht in Art. 2 Abs. 4 i.V.m. Anhang I Nr. 8 VO (EU) Nr. 1169/2011, dass unter „Zucker“ alle in Lebensmitteln vorhandenen Monosaccharide und Disaccharide, ausgenommen mehrwertige Alkohole zu verstehen sind. Darunter fallen eben auch Glukose und Fruktose, wie sie in Obst enthalten sind.

Wann sich ein Lebensmittel in Bezug auf Zucker wie nennen darf, regelt die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel. Hier werden nährwert- und gesundheitsbezogene im Anhang geregelt.

So ist die Angabe, ein Lebensmittel sei zuckerfrei, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, nur zulässig, wenn das Produkt nicht mehr als 0,5 g Zucker pro 100 g bzw. 100 ml enthält.

Somit kann ein Obstkuchen niemals „zuckerfrei“ sein. Ein Obstkuchen, dem also weder Mono- oder Disaccharide noch ein anderes Lebensmittel mit einer süßenden Wirkung zugesetzt wurde, darf sich nur dann mit dem Health Claim „ohne Zuckerzusatz“ schmücken, wenn gleichzeitig der Hinweis „ENTHÄLT VON NATUR AUS ZUCKER“ auf einem Etikett angebracht ist. Auch wenn ich zu Hause backe, enthält mein Kuchen von Natur aus eben Zucker.

Obstkuchen sind in der Regel noch nicht einmal „zuckerarm“, selbst bei Anwendung des Zusatzstoffes E 968, weil der Zuckergehalt bei festen Lebensmitteln nicht mehr als 5 % Zucker betragen darf.

Hier habe ich den Zuckergehalt eines Sommer-Obstkuchenrezeptes einmal anhand von Nährwerttabellen durchgerechnet.

vegan und zuckerfrei: Sommerkuchen

Der prozentuale Anteil an Zucker beträgt im Teig schon 6,4 % und wird sich nach dem Backen noch erhöhen.

So viel zur Diskrepanz von gesetzlichen Regelungen und dem Verständnis von Verbrauchern zum Thema zuckerfrei und zuckerarm.

Was unter dem Begriff „vegan“ in Deutschland zu verstehen ist, regeln die Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel des Deutschen Deutschen Lebensmittelbuches

Vegan sind Lebensmittel, die keine Erzeugnisse tierischen Ursprungs sind und bei denen auf allen Produktions- und Verarbeitungsstufen keine
– Zutaten (einschließlich Zusatzstoffe, Trägerstoffe, Aromen und Enzyme) oder
– Verarbeitungshilfsstoffe oder
– Nichtlebensmittelzusatzstoffe, die auf dieselbe Weise und zu demselben Zweck wie Verarbeitungshilfsstoffe verwendet werden, die tierischen Ursprungs sind, in verarbeiteter oder unverarbeiteter Form zugesetzt oder verwendet worden sind.

Mikroorganismen (Bakterien, Hefen und Pilze) sind nichttierischen Ursprungs und werden gegebenenfalls auch in Lebensmitteln verwendet, die als „vegan“ ausgelobt werden.

Zum Einsatz bei dieser Veranstaltung kamen

fermentiertes Sojaprodukt, angereichert mit Calcium und Vitaminen mit den Zutaten:
Sojabasis (Wasser, geschälte Sojabohnen (10,7%)), Tricalciumcitrat, Säureregulatoren (Natriumcitrate, Citronensäure), Stabilisator (Pektine), natürliches Aroma, Meersalz, Antioxidationsmittel (stark tocopherolhaltige Extrakte, Fettsäureester der Ascorbinsäure), Vitamine (B12, D2), Joghurtkulturen (Str. thermophilus, L. bulgaricus). Der Zuckergehalt ist mit 2,1 % angegeben, per Definition zuckerarm und vegan aber nicht zuckerfrei und vegan

sowie

Lebensmittelzubereitung auf Basis von Kokosöl mit den Zutaten: Wasser, 22 % Kokosöl, modifizierte Stärke (Kartoffel, Tapioka), Meersalz, Kartoffelprotein, Olivenextrakt, Aroma, Citrusfaser. Die war lt. Nährwertangabe tatsächlich zuckerfrei und vegan

Beides hoch verarbeitete Produkte mit vielen Zusatzstoffen , die als solch auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar sind

E 304: Fettsäureester der Ascorbinsäure
E 306: stark tocopherolhaltige Extrakte
E 330: Citronensäure
E 333: Tricalciumcitrat
E 332: Natriumcitrate
E 440: Pektine

und hochverarbeiteten Zutaten. Und bei natürlichem Aroma hat der Verbraucher auch eine andere Erwartung als Schimmelpilze und Holzspäne.

Nun müssen ja Zusatzstoffe nicht per se schlecht oder schädlich sein. Mir es geht es vielmehr um deren Herstellung und Vermeidbarkeit; es gibt nämlich auch fermentierte Sojaprodukte mit weniger Zusatzstoffen.

Und dann stellt sich mir immer die Frage, ob das alles tatsächlich einen positiven gesundheitlichen Effekt hat und vor allem ob das nachhaltig ist.

Für mich steht fest, tierfrei ja, aber bitte nur ohne Alternativen mit vielen Zusatzstoffen und hoch verarbeiteten Zutaten. Wie die Moderatorin der Veranstaltung schon feststellte, eigentlich wollte ich die Zutatenverzeichnisse nicht lesen. Aber genau dafür sind die gemacht, damit ich bewusst entscheiden kann und auch weiß, was ich da genau zu mir nehme oder eben darauf verzichte.

4 thoughts on “zuckerfrei und vegan

    1. Cooketteria

      Ups, war der Finger wieder schneller als das Hirn. Meinte natürlich: Solche Deklarationen à la „gesund, zuckerfrei, regional, blablabla…“ und wenn man die Zutatenliste liest, wird einem vor lauter Zusatzstoffe ganz blümerant.

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      1. kuechenlatein Beitragsautor

        Ich war bei der Veranstaltung entsetzt über die Pippi-Langstrumpf-Mentalität: Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt. Nur weil etwas gerade im Trend ist, ist es automatisch weder gesund noch nachhaltig. Aber bei Instagram zählen ja nur die schönen Bilder bzw. Videos, nicht die Inhalte

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  1. Barbara

    Hallo Ulrike,
    danke dafür, dass Du hier immer unermüdlich und kompetent aufklärst!
    Ich gehe seit Jahren mit Lesebrille einkaufen, damit ich die Zutaten lesen kann. Was da noch zu klein ist, bleibt sowieso liegen. Gerade bei veganen Lebensmitteln graust es mich oft; ich will keinen Chemiebaukasten. Vielen ist gar nicht klar, was sie da essen.
    Liebe Grüße
    Barbara

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